Gefeierte Uraufführung
Roma Songs & Kantate «Wir Kinder der Landstrasse»
Am Samstag Abend strömten die ZuhörerInnen in die evangelisch-reformierte Kirche Wülflingen. Das Ergebnis: Ausverkauft! Der 35-köpfige Projektchor Roma Songs und die Balkan Band «Sebass» hatten zum Konzert «Roma Songs & Kantate: «Wir Kinder der Landstrasse» eingeladen.
Der zweigeteilte Konzertabend, beginnend mit dem Motto «Gegen Vertreibung, Diskriminierung und Völkermord» wurde mit dem wehmütigen, in Auschwitz entstandenen Lied «Ausvičate hi kher baro» eröffnet. Der Chor zeigte im Dialog mit einer Chorsolistin eine feine Intensität in der Darbietung, die ohne kitschig zu sein, dem Schmerz der Verfolgten Raum und Fülle gab.
Uraufführung „Wir Kinder der Landstrasse» in Winterthur
Nach weiteren wehmütigen Roma-Songs, die den Schmerz über in Jahrhunderten erfahrenes Unrecht und Verfolgung ausdrückten, erklang als Uraufführung die im Frühjahr 2022 eigens für dieses Chorprojekt komponierte Kantate «Kinder der Landstrasse» von Roger Moreno-Rathgeb.
Dieses Werk nimmt Bezug auf einen dunklen Fleck in der Schweizer Geschichte: Erst 50 Jahre ist es her, dass der «Kinderraub» von über 600 hauptsächlich jenischen Kindern durch das «Hilfswerks für die Kinder der Landstrasse» von «Pro Juventute» in Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden, entdeckt und gestoppt wurde. Für alle Jenischen sind diese Vorfälle ein kollektives Trauma über Generationen hinweg bis heute.
Der in Zürich geborene Sinto-Komponist Roger Moreno-Rathgeb erzählt diese Geschichte in Schweizer Mundart. Musik und Text versuchen vor allem die Gefühle der geraubten Kinder zu zeichnen: So waren sehnsüchtige, melancholische, wütende, klagende und gen Ende hoffnungsvolle, friedliche Melodien zu hören. Der vierte Teil der Kantate, der Choral «Mit Hoffnung und Mut», versucht, diese Traumata zu überwinden, Hoffnung zu entwickeln, die Vergangenheit ruhen zu lassen und appelliert an uns alle, mit Mut gemeinsam in die Zukunft zu blicken.
Als Auftragswerk hat der Komponist die Kantate den Möglichkeiten des Laien-Projektchores und dem wunderbaren Ensemble Sebass angepasst. Beide verstanden es, unter Leitung des Dirigenten Martin Lugenbiehl, die Botschaft des Werks mit den SängerInnen und InstrumentalistInnen zu formen und im Kirchenraum das Publikum emotional zu erreichen.
«Das Leben als Fest»
Im 2.Teil des Konzertes «für Toleranz und Lebensfreude» erzählen die Roma Lieder die lichtvolle Seite des Lebens der Roma. Die fröhlichen und lebendigen Lieder über Liebe und Schönheit, Feiern und Tanzen strahlten vor Energie und begeisterten das Publikum mit ihren Tempi und dem mitreissenden Elan. Die Band «Sebass» brillierte mit Spielfreude, traumwandlerischem Zusammenspiel und faszinierenden Soli-Einlagen. Der Chor interpretierte in eigener Singweise und Klangbildung und versuchte nicht, die Singweise von Roma und Sinti zu imitieren.
Die Chorarrangements der Roma Songs stammen allesamt aus der Feder des Dirigenten Martin Lugenbiehl, der so mit zahlreichen gelungenen Einfällen die ureigene Tonalität und den Charakter der Roma-Musik für vierstimmigen Chor greif- und singbar machte.
Die zwei stark kontrastierenden Teile des Konzerts – Leiden und Schmerz auf der einen, Lebensfreude auf der anderen Seite – fügten sich zu einem runden Ganzen. Die von den Roma-Songs umrahmte Kantate und der Charakter der Uraufführung verlieh diesem Konzertabend eine zusätzliche Intensität und Tiefe. Das Publikum war von der Musik wie von der Darbietung begeistert und verdankte das erlebte Konzert zum Abschluss mit frenetischem Applaus.
J.W. / M.L. / M.C., Winterthur 28.10.23
Man darf sich auf weitere Aufführungen freuen in Zürich, Kirche St.Jakob am 9.12 und in Bern im PROGR, Aula am 10.12.2023.
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